Sexarbeit ist verdammt nochmal Arbeit!

Sexarbeit ist verdammt nochmal Arbeit *

Seit Mitte März muss eine Vielzahl an Geschäften und öffentlichen Einrichtungen geschlossen bleiben. Darunter fallen nicht nur Museen, Bars und Restaurants, sondern auch Bordelle. Prostitution wird vorübergehend grundsätzlich verboten.

Für Sexarbeiter*innen bringt dieses Verbot eine massive Existenzbedrohung mit sich. Sie haben keine Einkommensquelle mehr, viele sind wohnungslos und müssen bei Freund*innen, Kolleg*innen oder Freiern unterkommen, im schlimmsten Fall landen sie auf der Straße. Mittlerweile sind einige Bordelle wieder geöffnet, um den Sexarbeiter*innen dort eine Unterkunft zu bieten.

Miete, Essen, Hygieneartikel und Sonstiges können sich die meisten nicht mehr leisten. Viele von ihnen kommen nicht aus Deutschland und können aufgrund der Grenzschließungen nicht zu ihren Familien nach Hause fahren, denn es sind nur einmalige Ein- oder Ausreisen erlaubt. Wegen des Verbots von Prostitution oder fehlender Registrierung können Sexarbeiter*innen ihre Arbeit nicht als Grund für einen Grenzübertritt angeben.

Die breite Öffentlichkeit und der Staat schauen wieder mal weg.

Von den Einschränken sind vor allem illegalisierte Menschen betroffen, die keinen Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung und keine Krankenversicherung haben. Sie werden mit ihrem Schicksal alleine gelassen. Den meisten bleibt nichts anderes übrig, als illegal auf der Straße zu arbeiten, um an Geld zu kommen. Sie sind auf sich alleine gestellt und setzen sich einem hohen gesundheitlichem Risiko aus.

Hilfsorganisationen, die gegen Zwangsprostitution sind und denen angeblich soviel am Wohlergehen der Sexarbeiter*innen liegt, sind auf einmal still geworden.

Politische Maßnahmen werden nicht ergriffen, im Gegenteil. Vor einigen Wochen twittert Leni Breymaier (SPD): „Stuttgart verbietet Prostitution wegen Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben“. Solche Aussagen und der nicht vorhandene politische Umgang mit der Situation sind nichts als widerlich und sie machen erneut deutlich, in was für einem beschissenen Staat wir leben.

Sexarbeiter*innen haben nicht erst seit der aktuellen Corona-Pandemie große Probleme, ihren Beruf frei und selbstbestimmt ausüben zu können. Zwar gilt Sexarbeit durch das 2002 in Kraft getretene „Prostitutionsgesetz“ nicht mehr als „sittenwidrig“ und ist eine rechtlich anerkannte Tätigkeit, jedoch sieht die Realität für die Sexarbeiter*innen deutlich anders aus. Ihr Beruf wird gesellschaftlich noch immer stigmatisiert und tabuisiert. Das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ von 2017 macht den Arbeitsalltag von Millionen Sexarbeiter*innen in Deutschland unendlich viel härter anstatt, wie der Staat mit dem Titel des Gesetztes suggeriert, die Bedingungen zu verbessern.

Sexarbeiter*innen müssen sich anmelden und ihren „Hurenausweis“ stets mit sich führen, sonst drohen Bußgelder bis zu 1000 Euro. Ein Gesundheitstest ist verpflichtend, bei dem die Sexarbeiter*innen, unabhängig davon wie lange sie schon arbeiten, über Empfängnisverhütung und Drogenmissbrauch aufgeklärt werden. Eine tatsächliche körperliche Untersuchung ist nicht vorgesehen. Diese Maßnahmen sind, solange sie nicht auf freiwilliger Basis beruhen, ineffektiv, stigmatisierend und treiben viele Menschen in die Illegalität. Auch die klare Trennung zwischen Menschenhandel und Sexarbeit findet keinen Einzug in das Gesetz. Forderungen des Bundesverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen wurden ignoriert. Somit wurden die gesundheitliche Gefahr, die staatliche und gesellschaftliche Stigmatisierung und die Repressionen bei nicht Folgeleisten der staatlichen Zwänge noch mehr erhöht.

Es kann nicht sein, dass erst im Laufe einer Pandemie klar wird, in welchen Verhältnissen viele Menschen hier leben und wie der Staat in der Hinsicht auf allen Ebenen versagt hat.

Sich vor dem Virus zu schützen, indem man sich freiwillig isoliert, ist ein Privileg. Die Menschen, die unprivilegiert sind, können sich faktisch nicht an viele der vom Staat auferlegten Einschränkungen halten. Sie haben keine Wohnung, in der sie sich isolieren könnten und sie haben keine Möglichkeit dazu, durch Homeoffice weiterhin Geld zu verdienen. Sie sind oft dazu gezwungen, sich den Maßnahmen zu widersetzen, weil sich der Staat lieber um die Etablierung wirtschaftlicher Rettungsschirme für deutsche Firmen kümmert. Trotzdem sind Sexarbeiter*innen nicht weniger von den Sanktionen bei Nichteinhalten der Regeln getroffen.

Die Regierung verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit, mitunter durch groteske Aussagen wie die von Peter Altmeier: „Wir lassen niemanden allein.“ Entweder bedeutet das, dass Prostituierte, Geflüchtete, wohnungslose Menschen und alle, die nicht das Bürokratische Bingo gewinnen und notwendige Unterstützung bekommen, einfach nicht dazu gehören oder er wollte eigentlich sagen: „Wir lassen niemanden alleine … außer alle die wirklich Hilfe benötigen.

Wir müssen also unbürokratische Lösungen finden, um uns mit den Menschen, die die Krise am härtesten trifft, zu solidarisieren und ihnen zu helfen.

Informiert euch und andere, macht auf die beschissene Situation von Sexarbeiter*innen aufmerksam, zeigt euch solidarisch und helft, wo ihr könnt!

Regelmäßige Infos bekommt ihr unter anderem hier:

https://berufsverband-sexarbeit.de/index.php/service/corona/

Spendenkonto für Sexarbeitende, die keine staatliche finanzielle Unterstützung erhalten:

http://berufsverband-sexarbeit.de/index.php/besdnotfallfonds/

* Dieser Text bezieht sich primär auf Menschen, die sich nicht aus emanzipatorischen, selbstbestimmten Gründen für Sexarbeit entscheiden. Prostitution hat viele Ebenen und es gibt verschiedenste Hintergründe und Bedingungen unter denen diese Arbeit geleistet wird.
Es ist jedoch nicht die Motivation dieses Textes gewesen ein möglichst umfassendes, ausführliches Bild von Sexarbeit zu zeichnen, sondern die Probleme und Schwierigkeiten aufzuzeigen, die besonders für illegale Prostitiution, als Konsequenz der Corona Maßnahmen entstehen und schwer wiegen.